Felix Mendelssohn Bartholdy
Foto: Ölporträt Felix Mendelssohn Bartholdys, gemalt 1846 von Eduard Magnus (1799—1872)

Gedanken zum Tag: Richard Wagner & Felix Mendelssohn Bartholdy

Wie konnte Richard Wagner das nur tun? In seinem Pamphlet, „Das Judenthum in der Musik”, fällt er Felix Mendelssohn Bartholdy gnadenlos in den Rücken. Dabei hätte Wagner ihm eigentlich dankbar gesinnt sein müssen. Ihm, der als Dirigent das Bach’ sche Weihnachtsoratorium wieder aus der Versenkung gehoben hatte. Ihm, dem Wagner seine musikalische Grundsprache zu verdanken hat. Ohne Felix Mendelssohn Bartholdy gäbe es Wagner nicht in der Form, wie wir ihn heute kennen.

Gäbe es das „Parsifal” Vorspiel ohne Mendelssohns 5. Sinfonie? Gäbe es das Motiv der Rheintöchter aus dem „Rheingold” ohne Mendelssohns Ouvertüre zu „Das Märchen von der schönen Melusine” op. 32 (1833)? Es ist stark zu bezweifeln. Oder man höre sich nur das Paulus-Oratorium op.36 (1836) an – wüsste man es nicht besser, könnte man meinen, es sei der junge Wagner!

Wagner übernimmt nicht nur, er zitiert regelrecht aus dem Paulus-Oratorium. Bestes Beispiel: Der 1. Akt des „Lohengrin”; erster Auftritt des Heerrufers – wenn das nicht eindeutig nach Mendelssohns Musik klingt.

Generell verdeutlicht das Paulus-Oratorium, dass Wagners musikalische Grundsprache auf Mendelssohns Ideen basiert: die sphärischen Streicher-Legati, die den Gesang zärtlich untermalen – bereits in Mozarts Opern finden sich ähnliche Stilmittel, in derselben Perfektion verarbeitet. Die scharfen, dramatischen Akzentuierungen der Streicher zwischen den kurzen Gesangspausen, das orchestrale Nachklingen der Erzählung. Alles nur einige Beispiele, die aber verdeutlichen: Aus jeder Pore der Wagner’ schen Musik quillt Mendelssohn Bartholdy!

Der Umstand, dass Komponisten bekannte Stilmittel ihrer Vorgänger nicht nur aufgreifen und verarbeiten, sondern teilweise fast schon zitieren, ist per se nichts Besonderes. Keine abendländische Musik ohne Bach. Kein Bruckner, Schostakowitsch oder Mahler ohne Beethoven – den Wagner übrigens abgöttisch verehrte. So schrieb Richard Wagner im Jahre 1846 in einem Bericht über die Aufführung der neunten Symphonie:

„Was ich mir nicht auszusprechen wagte, war die Erkenntnis der vollständigen Bodenlosigkeit meiner künstlerischen und bürgerlichen Existenz in einer Lebens– und Berufsrichtung, in welcher ich mich als Fremdling und durchaus aussichtslos ersehen musste. Diese Verzweiflung, über die ich meine Freunde zu täuschen suchte, schlug nun dieser Symphonie gegenüber in helle Begeisterung aus. Es ist nicht möglich, dass je das Werk eines Meisters mit solch verzückender Gewalt das Herz des Schülers einnahm”.

In eine komplett anderen Tonfall taucht man ein, wenn man Wagners Schriften zu Mendelssohn Bartholdy durchstöbert. Keine Spur der Anerkennung, des Respekts oder zumindest der Toleranz. Um Mendelssohn zu würdigen, der einer angesehenen, wohlhabenden jüdischen Familie entstammte und im Kindesalter christlich getauft wurde, standen einigen Barrieren im Weg.

„Alles, was sich bei der Erforschung unserer Antipathie gegen jüdisches Wesen der Betrachtung darbot, aller Widerspruch dieses Wesens in sich selbst und uns gegenüber, alle Unfähigkeit desselben, außerhalb unseres Bodens stehend, dennoch auf diesem Boden mit uns verkehren, ja sogar die ihm entsprossenenen Erscheinungen weiterentwickeln zu wollen, steigern sich zu einem völlig tragischen Konflikt in der Natur, dem Leben und Kunstwirken des frühe verschiedenen Felix Mendelssohn Bartholdy”.

[Quelle: archive.org „Das Judenthum in der Musik“]

Dass Wagner hier ganz tief in die unterste Schublade greift, wenn er zu seinem Pamphlet in Richtung Mendelssohn-Bartholdy ausholt, grenzt schon schwer an ideologischen Hass. Da bleiben Rechtfertigungen, seinen offensichtlichen Antisemitismus als belanglosen Antikapitalismus zur Seite zu schieben, nur ein müder Versuch, um Wagners Ruf nicht noch mehr zu beschmutzen. Vor allem, da er Mendelssohn-Bartholdy so viel zu verdanken hat. Stefan Soltesz hatte diesbezüglich einmal scharfsinnig angemerkt.: “Talent stiehlt, Genie raubt”.

In diesem Sinne ist Wagner sicherlich ein Genie. Einer, der die Opernwelt reformiert, perfektioniert und ins Unermessliche potenziert hat. Seine zeitlosen Dramen, die er in unnachahmlicher Weise vertont hat, haben bis heute Gültigkeit. Seiner Musik verfällt so gut wie jeder widerstandslos, der sich einmal von diesem Narkotikum verführen hat lassen. All das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Richard Wagner als Mensch vermutlich wenig Respekt verdienen dürfte. Würde man Klartext sprechen, bliebe bezüglich solcher ausufernden Hasstiraden nur eine Definition zur Verfügung – unter aller Sau.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Dr. Bernd Fischer

    Eine viel gewichtigere Stelle, um den Einfluss von Mendelssohn auf Wagner zu illustrieren, finde ich im 2. Aufzug des Siegfrieds. Waldweben! für mich ist das ohne die Ouvertüre zum Sommernachtstraum nicht denkbar.

    1. Klassikpunk

      Lieber Herr Dr. Fischer,

      vielen Dank für ihren Einwurf. Das Waldweben hatte ich diesbezüglich gar nicht am Schirm.

      Liebe Grüße
      Klassikpunk

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