Christian Gerhaher in Simon Stones Inszenierung von Wozzeck an der Wiener Staatsoper
Foto: Bei Regisseur Simon Stone landet Wozzeck (Christian Gerhaher) im Wiener Arbeiterbezirk Simmering © Michael Pöhn

Der banale Anspruch an die Regie: Keine widersprüchliche Ästhetik zwischen Musik und Bühne

Antwort auf eine Frage, die Prof. Karl Rathgeber mir gestellt hat. Nachdem er Pathys Stehplatz (17) mit “einem gewissen Vergnügen” gelesen hat, ist ihm eine Sache eher aufgestoßen: Ist es die Aufgabe der Oper, die Aufgabe von Kunst, um “Abstand von der Realität zu gewinnen“?

Das war nämlich meine Begründung, warum ich Probleme damit habe, wenn Regisseur Simon Stone bei seiner Inszenierung von “La Traviata” für zu viel widersprüchliche Ablenkung von der Musik sorgt.

Meine Antwort:

Sehr geehrter Herr Prof. Rathgeber,

Lassen Sie es mich so sagen: Es gibt Opern, die sind in der Lage, schon alleine ihrer Musik wegen einen enorm leichten Zugang zu gewähren. Rein aufgrund ihres harmonischen Gefüges. Eine „Traviata“, ein „Simon Boccanegra“ oder ein „Lohengrin“, schießen mir da so auf die Schnelle durch den Kopf. Dann gibt es Opern, wo sich das total konträr verhält.

Ein Wozzeck“, eine „Lulu“. Das sind sicherlich alles große Kunstwerke, die sich aber musikalisch nicht für jeden auf Anhieb erschließen lassen. Die sind schrill. Musikalisch schräg. Total abgefahren, um es in der Umgangssprache der Jugend zu sagen.

Das heißt nicht, dass ich sie nicht schätze. Allerdings auf einer anderen Ebene als harmonisch leicht zugängliche Werke. Dort, bei einem „Lohengrin“ oder von mir aus auch bei einem „Parsifal“, da möchte ich nicht von der Bühne abgelenkt werden. Bei diesen Werken liegt mein Fokus ganz klar bei der Musik, die sich aufgrund der harmonischen Schönheit und ausladenden Spannungsbögen dazu anbietet, einfach mal abzuschalten. Also ja: Die Flucht aus der Realität zu suchen. Das genieße ich. Für mich hat sich auch noch nie die Frage gestellt: „Prima la musica, dopo le parole?“. Also, was kommt zuerst – die Musik oder der Text? Für mich war der Text schon immer nur der Diener der Musik.

Parsifal an der Wiener Staatsoper
Foto: Jonas Kaufmann (Parsifal), Elina Garanca (Kundry) © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Ob das die Aufgabe der Kunst ist, darüber kann man sicherlich streiten. Einige suchen in der Oper vielleicht die intellektuelle als auch philosophische Herausforderung, andere eher einen entspannten Musikabend. Ich finde mich in beiden Gruppen wieder. Bin allerdings felsenfest überzeugt, Musik und Bühne sollten sich nicht im Wege stehen. Damit meine ich gar nicht, dass die Szene auf der Bühne und der Text im Libretto immer zu hundert Prozent identisch sein sollten. Ich bin kein Verfechter der alten Schule. Ob die Kundry nun Klingsor mit einer Pistole richtet, wie bei Kirill Serebrennikovs “Parsifal”-Inszenierung, spielt keine Rolle. Mit dieser Metapher kann ich leben.

Für mich gibt es aber eine gewisse Ästhetik. Eine, die ganz banalen Ansprüchen zu folgen hat. Ein „Parsifal“ zum Beispiel, den soll man von mir aus verlegen, wohin man meint. Ob in ein Gefängnis, in eine Irrenanstalt oder in einen Zaubergarten, der optisch dem an der Amalfiküste gleicht. Dort soll Wagner ja die Idee gekommen sein. Das hat für mich keinen vordergründigen Wert. Solange die Regie zumindest den Eindruck hinterlässt, sich dabei ordentlich den Kopf zerbrochen zu haben. Fragen können dabei ruhig offen bleiben. Klare Antworten sind nicht immer nötig.

Ich möchte aber, dass sich auf der Bühne kein Panoptikum einschleicht, keine grellen neonfarbenen Bilder, die ständig aufblitzen, während sich aus dem Graben ja eigentlich die Aura des Grals über das ganze Werk legen sollte. Das widerspricht meiner Vorstellung von Ästhetik. Serebrennikovs schwarz-weiße Häfn-Inszenierung hat das zum Beispiel nie getan. Wie grässlich oder widersprüchlich einige diese Inszenierung auch beurteilt haben, aus dieser banalen Sichtweise ist sie mehr als nur gelungen.

Bei der „Traviata“ tappt Stone hingegen genau in diese Fälle. Zumindest aus meinem Verständnis. Während aus dem Graben eine für mich bernsteinfarbene Musik entströmt, stören auf der Bühne grelle Farben und neongrüne WhatsApp-Nachrichten. Für mich ein unerträglicher Anblick. Wenn der Regisseur schon meinen Ausweg aus der Realität vermiest, dann bitte zumindest nicht in so widersprüchlichen Farben. Das ist eigentlich mein größter Kritikpunkt. Unabhängig davon, dass gewisse Sujets, in einer konservativen Inszenierung besser aufgehoben sind.

Kristina Mkhitaryan und Amartuvshin Enkhbat in "La Traviata" an der Wiener Staatsoper
Foto: Kristina Mkhitaryan und Amartuvshin Enkhbat in “La Traviata” an der Wiener Staatsoper © Michael Pöhn

Was Simon Stone diesbezüglich dann bei einem „Wozzeck“ treibt, beurteile ich aus einer anderen Perspektive. Immerhin ist das keine Musik, der ich mich aussetze, um harmonische Stunden in der Oper zu erleben. Dass, das schräg und abgefahren wird, dessen bin ich mir schon zuvor bewusst. Da wäre es mir auch gleichgültig, wenn auf der Bühne gleißende Stroboskoplichter sich mit randalierenden Hooligans in Gelsenkirchen duellieren würden. Nur als plakatives Beispiel worauf ich hinaus will. Solange der Regisseur den zugrunde liegenden Sinn des Sujets nicht komplett auf den Kopf stellt natürlich. Hat er meines Erachtens bei der Wiener Neuproduktion auch nicht.

Liebe Grüße
Jürgen Pathy

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