Vor Inbetriebnahme des Mundes, Gehirn einschalten. Dieser Devise folgt Piotr Beczala seit Anbeginn seiner Karriere. Gewissenhaft und behutsam von Kammersängerin Sena Jurinac aufgebaut, erweitert der gebürtige Pole sein Repertoire nur mit großer Sorgfalt.
Beczala weiß, wie weit er gehen kann. Er singt keinen Schubert, Operette, Verdi, Massenet, Richard Strauss und Wagner gleichzeitig. Um seine Stimme behutsam zu behandeln, achtet er präzise, wann und wie er sein Fach erweitert. Dabei schont sich Beczala keinen Falls, nimmt neue Partien allerdings langsam und kontrolliert in Angriff. Das hat der stets am Boden gebliebene Startenor seit jeher so gehandhabt.
Angefangen hat Beczala, wie so viele seiner Kollegen, bei den lyrischen Mozart Partien. Einem Tamino oder einem Belmonte am Opernhaus Zürich. Es folgten die etwas „leichteren“ Verdi-Partien wie der Herzog in „Rigoletto“ oder der Alfredo in „La Traviata“, bis er sich schließlich an die jugendlichen Heldenpartien des deutschen Fachs (Lohengrin) und bis zum Verismo gewagt hat.
Von dieser Sorgfalt, Demut und Geduld profitiert der polnische Ausnahmesänger heute. Stimmkrise kennt Beczala nicht. Auch wenn er es das ein oder andere Mal pausieren musste, reüssiert der 52-Jährige mittlerweile seit 28 Jahren ohne langwierige Bühnenabstinenzen in allen großen Häusern der Welt.
An der Wiener Staatsoper, der er seit seinem Debüt im Jahre 1998 als Tamino in Mozarts „Zauberflöte“ eng verbunden ist, durfte man Bezcala Anfang des Jahres in der mit Spannung erwarteten Rollenerweiterung als Cavaradossi in Puccinis „Tosca“ bewundern. Kurz und bündig: ein riesiger Erfolg. Nicht nur Kritik und Publikum, auch Sängerkollegen schwärmten zu gleichermaßen: So einen Cavaradossi habe die Welt seit Luciano Pavarotti nicht mehr gehört, hieß es da von einigen Seiten.
Trotz großem Jubel, nicht alles mit gewohnter Leichtigkeit
Mit umso freudigerer Erwartung fieberte man der zweiten Serie dieser Aufführungen im Juni entgegen. Volles Parterre, volle Logen und volle Ränge. Einzig Beczalas Stimme wollte nicht von Anfang an mitspielen und schien der Euphorie einen herben Strich durch die Rechnung zu ziehen.
Zu Beginn hatte dieser Cavaradossi ordentlich zu kämpfen – nicht nur gegen Scarpia und seine Mannen. Sein Mezza-voce zu forciert, die Übergänge brüchig und zitternd. Selbst ein erfahrener Bühnenprofi wie Piotr Beczala schien die Nervosität an diesem Abend nicht zur Gänze abschütteln zu können: TV-Aufzeichnung, der kurzfristige Wechsel seiner Bühnenpartnerin – für Nina Stemme sprang kurzerhand die Armenierin Karine Babajanyan in die Bresche – und last not least die Kammersängerwürde, die Beczala an diesem Abend noch verliehen bekommen würde, ließen selbst den polnischen Ausnahmekünstler nicht völlig kalt.
Verflogen schien die spielerische Art und Weise mit der Beczala noch zu Beginn des Jahres sein umjubeltes Rollendebüt gefeiert hatte. An seiner Seite damals: Die phänomenale Sondra Radvanovsky, deren unverwechselbares Timbre und ausdrucksstarkes Vibrato der Floria Tosca ein Leben einzuhauchen vermochte, von dem man noch seinen Enkelkindern erzählen wird.
Befürchtungen, der neue Parade-Cavaradossi würde den alles entscheidenden dritten Akt samt „Sternenarie“ dieses Mal versemmeln, drehten die Runde. Zwar spricht Beczala selbst den Vittoria-Rufen im zweiten Akt die viel größere Bedeutung zu, sie seien der Maßstab eines Cavaradossi. Der breiten Masse jedoch liegt die ergreifende „Sternenarie“, in der Cavaradossi vor seiner Hinrichtung noch einen letzten Abschiedsgruß an Tosca richtet, viel näher am Herzen als alles andere. Der emotional absolute Höhepunkt dieser Oper, vielleicht sogar des gesamten Opernrepertoires überhaupt.
Doch nichts hat er versemmelt. Ganz im Gegenteil. Da kommt dieser Teufelskerl auf die Bühne und lässt die Sterne heller erleuchten, als je zuvor. Butterweich glissandierende Übergänge gepaart mit strahlendem Glanz in der Höhe und eine von Sehnsucht erfüllte Darbietung dringen tief unter die Haut und entschädigten für jeden zuvor noch wackeligen und forcierten Ton. Gänsehaut und Herzschmerz pur.
Gerade noch rechtzeitig, so schien es, haben sich alle Kräfte des Universums verschworen und ihre Energie über dem dekorativen Sternenhimmel der Wiener Staatsoper gebündelt. Nur, um diesem Ausnahmekünstler, der sichtlich erleichtert den Tränen nahe am Boden kniete, an diesem denkwürdigen Abend den gebührenden Erfolg zu gewähren.
Den hat sich Piotr Beczala an diesem Abend wirklich verdient, ebenso den allergrößten Respekt! Nicht, weil der frisch gebackene Kammersänger in Höchstform gesungen hat, oder weil er perfekt gewesen ist, sondern weil er trotz anfänglicher Probleme letztendlich dennoch abgeliefert hat.
Endlich ergeben die Worte eines Freundes, der als ausgewiesener Fachmann im Bereich des Gesangs gilt, einen Sinn: „Die wirklich großen Sänger wissen, wie sie das Publikum erreichen – selbst an einem schlechten Tag.” Ganz genau. Und deshalb zählt Kammersänger Piotr Beczala zu den Allergrößten.