Führung durch die Wiener Staatsoper, 7. August 2020
von Jürgen Pathy / Klassikpunk
Wenn schon keine Oper, dann zumindest eine Führung. Gestern wurde mir diese Ehre in der Wiener Staatsoper zu teil. Eher zufällig als geplant. Auf dem Weg zum Tirolerhof, einem traditionellen Wiener Cafehaus mit Blick auf die Oper, wurde ich magisch angezogen – von einer offenen Tür in das geliebte Opernhaus, das ich seit Monaten nicht mehr betreten durfte. Coronabedingt hat die Wiener Staatsoper seit März des Jahres ihre Pforten verschlossen gehabt. Die Sehnsucht war also groß. Einmal den Kopf durch die Tür gesteckt, schon war es um mich geschehen – die magnetische Anziehungskraft dieses Hauses ist einfach zu groß.
Das sind also diese berüchtigten Führungen, dachte ich mir, nachdem die freundliche Dame an der Eingangstür mich aufgeklärt hatte, was da heute los sei. Seit 1. Juli werden sie wieder angeboten. In kleinerem Rahmen und unter Einhaltung der Corona-Auflagen. Beinahe täglich, unter der Woche sogar mehrmals pro Tag. In knappen Zeitintervallen, in verschiedenen Sprachen: Ladies and gentlemen first, dann die Italiener, und last not least – die deutschsprachige Fraktion. Vor Corona seien diese Führungen noch stärker besucht gewesen, erzählt der Guide, der uns das erste Haus am Ring näher bringt. Ein junger Herr, um die 30 Jahre alt, durchschnittliche Größe, schlank. Das dunkelblonde Haar, das er etwas länger trägt, hat er leger hinters Ohr geschlagen. „Bitte in der Gruppe bleiben, nicht ausschweifen und Mund-Nasen-Schutzmaske aufbehalten“, mahnt er freundlich, aber doch bestimmend, bevor er uns zur ersten Station geleitet: die Feststiege.
Dieser prachtvolle Aufgang und das „Schwind-Foyer“, in dem einige Komponisten und deren Hauptwerke an der Wand verewigt wurden, sind die einzigen Teile der Oper, die im Original erhalten geblieben sind. So wie vor rund 150 Jahren, als die Staatsoper gebaut wurde. Der Rest des Hauses wurde nach dem Bombenangriff im März 1945 zerstört. Ein Missgeschick, wie es vonseiten der Alliierten heißt – den Piloten sei nicht bewusst gewesen sein, dass sie ihre Bombenschächte über der Wiener Innenstadt öffneten. Das Haus brannte beinahe vollständig ab. Erst am 5. November 1955, nach langwierigen und teuren Aufbauarbeiten, konnte die Wiener Staatsoper wieder neu eröffnet werden – mit „Fidelio“ unter der Leitung von Karl Böhm, der gerade seine zweite Amtszeit als Direktor des Hauses bestritt.
Der Stehplatz – eine Institution der Wiener Staatsoper
Mit weit weniger Kosten verbunden, ist ein Besuch des Opernhauses auf den rund 600 Stehplätzen. Um läppische 10 Euro kann jeder dabei sein, wenn die größten Namen und besten Sänger der Welt ihr Können präsentieren. Von Anna Netrebko, der zurzeit unerreichten Diva assoluta, über den polnischen Startenor Piotr Beczala, bis hin zu Jonas Kaufmann, der die Opernwelt zurzeit spaltet, wie kein anderer – alle singen sie an der Wiener Staatsoper, dem bedeutendsten Opernhaus dieser Welt. Bis vor kurzem durfte man ihnen sogar noch günstiger lauschen.
Erst seit Beginn der Saison 2019/20 wurden die Preise der Stehplatzkarten von 3 Euro auf 10 Euro erhöht. Der Grund: Laut Dominique Meyer angeblich genau diese Führungen, an einer derer ich gerade selbst teilnehme. Gewiefte Touristenguides hatten Wien-Besuchern empfohlen, sie sollten doch lieber eine Stehplatzkarte kaufen, anstatt das dreifache für eine Führung zu bezahlen. So würden sie ebenfalls in den Genuss kommen, die Wiener Staatsoper einmal von innen zu sehen – und zwar, um einiges günstiger.
Das Problem dieses Sparplans – nicht nur wirtschaftlich, sondern vor allem künstlerisch: Nachdem die Sensationsgier gestillt, die Handys gezückt und schnell ein Foto geschossen wurde, setzte der Tross sich wieder in Bewegung. Gelangweilt, müde und oft völlig unpassend gekleidet, verließen die Touristen in Scharen wieder die Vorstellung. Meist laut und ohne Rücksicht auf die Kunst. Zum Unmut vieler Stammgäste. Jeder, der die Oper liebt, kann sich vorstellen, was das bedeutet, wenn keine Ruhe einkehren will, wenn während der Vorstellung links und rechts die Smartphones aufleuchten. An ein ruhiges Vermessen des Schlafzimmers, wie zu Beginn der Oper „Le nozze di Figaro“ war da nicht zu denken. Geschweige denn an ein sanft schwebendes „Lohengrin“-Vorspiel, das bereits die Aura des heiligen Grals verbreiten soll.
Fressen, saufen, rauchen – Oper all inklusive
Noch viel schlimmer muss das gewesen sein, als die Oper am 25. Mai 1869 mit „Don Giovanni“ eröffnet wurde. Damals durfte noch geraucht, gegessen, getrunken und geplaudert werden, wie unser Guide, der uns in seinen schwarzen Turnschuhen geduldig in den Mahler-Saal führt, erzählt. Erst der Namensgeber dieses länglichen Raums hätte dieser Unsitte ein Ende bereitet. Ob Gustav Mahler, der die Wiener Staatsoper von 1897 bis 1907 leitete, in den Genuss kam, in diesen Räumlichkeiten zu wohnen, konnte der Guide leider nicht beantworten. Bis ums Jahr 1900 war der Mahler-Saal, der bis vor kurzem noch Gobelin-Saal hieß, in acht Räume geteilt gewesen und diente bis dahin als Herberge der Direktoren.
Heute ist dieser klassisch-prunkvolle Raum, in dem eine Büste Gustav Mahlers und dessen Reiseklavier ausgestellt sind, noch immer in besonderer Verwendung. Er ist nicht nur der größte Pausenraum des Hauses, hier findet auch das Vorspiel statt, wenn man ins Staatsopernorchester aufgenommen werden möchte. Aus diesem weltbesten Opernorchester rekrutieren sich übrigens die Wiener Philharmoniker.
Die teuersten Karten des Hauses kosten zwischen 150 und 300 Euro. „Je nachdem, welche Vorstellung gerade am Plan steht“, wie unser Guide mit etwas stolz verkündet. „Balletkarten sind etwas günstiger, Opernpremieren natürlich im oberen Bereich des Preissegments angesiedelt.“
Ein Klacks, wenn man andere Preise bedenkt. Beim Ratespiel, wie viel eine Loge beim berühmten Wiener Opernball kostet, dringen wir in ganz andere Dimensionen vor. „5000 Euro“ bietet ein junger Heer neben mir, bei 10.000 Euro steige ich aus. Weit gefehlt. Wer beim gesellschaftlichen Höhepunkt der Wiener Ballsaison nicht nur dabei sein will, sondern edel logieren, der muss tief in die Geldbörse greifen. Bis zu 23.500 Euro kostet eine Loge, in der sechs Personen Platz finden. Eintrittspreis nicht inkludiert. Die 315 Euro pro Karte muss jeder Logengast noch extra hinblättern.
Einmal im Leben Kaiser sein
Da wundert es auch nicht mehr, als wir erfahren, für welchen Preis der Teesalon gemietet werden kann. Dort logierten anno dazumal der Kaiser und seine Entourage. Wer sich einmal fühlen möchte wie Kaiser Franz Joseph I., der ist für 500 Euro dabei – für rund 20 Minuten wohlgemerkt. Solange dauert ungefähr eine Pause während einer Vorstellung. Ob dieser Preis die Kaiserloge (Mittelloge) inkludiert, ist schwer zu bezweifeln. Diese ist vom Teesalon direkt durch eine Tür zu erreichen. So konnte Franz Joseph I., der kein großer Opernfan gewesen sein soll, die Zeit anderweitig totschlagen. In diesen Genuss kommen heute nur mehr der Hochadel oder Staatsgäste, die den geschlossenen Rahmen bevorzugen. Dann können die zwei Zugänge zur Mittelloge geschlossen werden, und die geladenen Gäste sind vom Rest des Hauses abgeschottet.
Wer das und noch viel mehr erfahren möchte, dem seien diese Führungen um 9 Euro ans Herz gelegt. Nicht nur aufgrund der Informationen, die man während der rund vierzig minütigen Reise durch die Wiener Staatsoper erhält, sondern auch um der letzten Station wegen: dem Parkett der Wiener Staatsoper. Dort, wo man sonst nur Eintritt erhält, wenn man eine Karte der drei teuersten Preiskategorien ergattert, genießt man nämlich den besten Blick auf die Bühne. An diesem Tag sogar mit dem Bühnenbild der „Madama Butterfly“, die im September im Hause Premiere feiern wird.
Kleiner Tipp am Rande:
Wer gerne guten Kaffee trinkt, der ist im Tirolerhof gut aufgehoben. Gleich hinter dem Mahnmal gegen Krieg und Faschismus gelegen, bietet es einen der besten Kaffees. In Wien gar keine Selbstverständlichkeit. Obwohl sich zwar zwar seiner Kaffeehaus-Kultur wegen rühmt, wirklich guten Kaffee findet man in der Stadt leider viel zu selten. Das feine, klassische Cafehaus bietet Abhilfe!
Hallo Jürgen,
absolut klasse, Deine magische Führung durch die Staatsoper.
Seit einer Wien-Woche im August sind wir total „infiziert“ von der kulturellen Vielfalt und Schönheit dieser Stadt. Am liebsten wüden wir umziehen. Da das nicht geht, werden wir wiederkommen (und hoffen auf Zeiten ohne Corona und ohne Lockvdown).
Hi Claudia und Andrej,
vielen Dank! Ja, die kulturelle Vielfalt in dieser Stadt ist einzigartig. Das ist auch einer der Gründe, warum ein Umzug für mich zurzeit nicht in Frage kommt. So wunderschön Paris zum Beispiel ist, oder auch andere europäische Städte, so eine Dichte und zugleich auch Qualität der Angebote wie hier in Wien, findet man vermutlich nirgendwo.
Die Wiener Staatsoper ist sowieso ein Unikat. Kein Opernhaus auf dieser Welt bringt an rund 300 Tagen des Jahres tagtäglich eine Aufführung auf die Bühne. Sei es Oper, Konzert oder Ballett. Dafür ist die Wiener Staatsoper berühmt. Es ist ein Repertoirehaus, das jede Saison um die 40 bis 60 verschiedene Opern auf die Bühne bringt. Davon meistens auch so um die 6 Premieren. In dieser Stadt ist man als Musikliebhaber wirklich privilegiert.
Liebe Grüße
Jürgen aka Klassikpunk