Wiener Staatsoper, 23. Oktober 2018
Richard Wagner, Lohengrin
Von Jürgen Pathy (Klassikpunk)
Andreas Schager, 47, gilt zurzeit als die höchst gehandelte Aktie im Wagner-Fach. Egal ob als Rienzi, Tristan, Parsifal oder in seiner Paraderolle als kühner Siegfried – dem sympathischen Österreicher liegen Opernfans und Kritiker gleichermaßen zu Füßen. Fans himmeln ihn an, einschlägige Gazetten schwelgen in Superlativen. Im deutschen Heldenfach reicht dem gebürtigen Rohrbacher zurzeit keiner so schnell das Wasser.
Dennoch wurden im Vorfeld des mit Spannung erwarteten „Lohengrin“ Rollendebüts einige Zweifel laut. Wer mit offenen Ohren durch die Wiener Staatsoper schlich, dem konnte die aufkommende Skepsis nicht verborgen bleiben: Kann dieser vor Kraft und Virilität strotzende Zuchthengst der grazilen Lyrik eines edlen Schwanenritters gerecht werden? Die Zweifel hallten lauter als gedacht.
Die sonst prall gefüllten Stehplätze der Wiener Staatsoper boten Dienstagabend viel Freiraum und frische Luft. In der Seitengalerie klaffte beinahe gähnende Leere. Ob der lautgewordenen Skepsis oder vielleicht doch der stürmischen Wetterprognose wegen, bleibt ein ungelüftetes Geheimnis – „Nie, sollst du mich befragen!“ Letztendlich sowieso gleichgültig: Jeder, der etwas auf sich hält und sich „Wagnerianer“ schimpft, hätte diesem viel gepriesenen Rollendebüt nicht fernbleiben dürfen. Punkt!
Immerhin konnte Schagers vor Kraft und Virilität nur so strotzendes Edelorgan selbst im Haus am Ring bereits Jubelstürme und höchste Glücksgefühle bescheren. So hat Schager bei seinem Staatsoperndebüt im Dezember 2017 bewiesen, dass er als alles überstrahlender Apollo in Strauss‘ „Daphne“ einen mehr als nur würdigen Nachfolger des großen Johan Botha abgibt. Doch Apollo und Lohengrin sind zwei Paar Schuhe. Bothas feingliedrige Lyrik, die der 2016 Verstorbene dem von Reinheit gezeichneten Lohengrin verlieh, ist Schagers Sache an diesem Abend nicht. Die Zweifel schienen berechtigt.
Von den technischen Schwierigkeiten zu Beginn mal abgesehen, wurde die lichte Gestalt des Schwanenritters all zu brachial präsentiert. Keine Frage: die Forte Ausbrüche eines Andreas Schager legen blank, welche Schwächen manch andere Sänger in puncto Volumen, Brutalität und Ausdruckskraft noch zu bewältigen haben – doch genau dort liegt auch der Hund begraben: Obwohl Schager bei der Gralserzählung („In fernem Land“) ansatzweise in göttliche Sphären empor zu steigen vermochte, war dieser Lohengrin stimmlich insgesamt zu erdig, zu viril und protzig angelegt.
Ebenso das über weite Strecken fahle Dirigat der Australierin Simone Young, 57. Mit Wehmut denke man an die letztjährige zwischen Dramatik und sphärischer Klangwolke perfekt hin und herschwebende Meisterleistung eines Sebastian Weigle zurück. Auf diese Unterstützung konnte Andreas Schager leider nicht zählen. Einzig auf Andreas Homokis umstrittene Tracht– und Lederhosen-Inszenierung, zu der dieser hemdsärmelige und protzig angelegte Lohengrin dann durchaus wieder passt. Schwanenritter meets Schwabenritter.