Pressekonferenz Gstaad Menuhin Festival 2022
Foto: Christoph Müller, Artistic Director des Gstaad Menuhin Festival © Raphael-Faux

Artistic Director Christoph Müller: „Wir können nicht nur Tschaikowsky und Dvořák spielen.“

Das Gstaad Menuhin Festival setzt auf eine Neuauslegung: „Demut“ in Zeiten des Wandels. So nennt sich der Schwerpunkt der 67. Ausgabe des Schweizer Musikfestivals, das einst Yehudi Menuhin gegründet hat. Ein Gespräch mit Artistic Director Christoph Müller. Der Schweizer Kulturunternehmer bezieht Stellung, warum man auch in der Klassikbranche nicht mehr die Augen verschließen kann vor dem Klimawandel und den Ereignissen, die rundherum gerade die Welt erschüttern.

Demut“ in Zeiten des Wandels steht beim diesjährigen Gstaad Menuhin Festival ganz groß als Programmschwerpunkt geschrieben. Wie kam es zu diesem Schwerpunkt?

Bislang waren unsere Themenschwerpunkte stark gekoppelt an Städte. Wir wollten Brücken bauen, mit Wien, Paris. Alles bedeutende Musikmetropolen. Die Welt ist heute aber eine andere als noch vor fünf Jahren.

Gleich mehrere Jahrhundertereignisse haben die Weltordnung durcheinandergebracht, die über Jahrzehnte zuverlässige Stabilität geboten hat. Krieg, Pandemie und Klimawandel haben uns aufgezeigt, dass es Dimensionen gibt, die nicht in unseren Händen liegen. Die nicht steuerbar und kontrollierbar sind.

Deswegen hat sich uns die Frage gestellt, wie gehen wir bei der Ausrichtung des Festivals vor. Als Klassikfestival spüren wir eine große Verantwortung. Sowohl mit unserem eigenen Handeln, als auch in künstlerischer, also musikalischer Perspektive, auf die Herausforderungen unserer Zeit einzugehen. Daher haben wir uns entschlossen, die kommenden drei Festivals unter das Motto „Wandel“ zu stellen. Den Beginn machen wir mit „Demut“.

Zur Eröffnung des Festivals steht Bachs h-Moll Messe auf dem Programm. Ein Festival mit einer Messe zu eröffnen, noch dazu in Moll, kann schon ein Statement sein. Was wollen Sie damit ausdrücken?

Bachs h-Moll Messe ist die Grundlage der abendländischen Musik. Sein Aushängeschild, ein Pasticcio aus verschiedenen Messen. Ein sakrales Werk mit demütigen Inhalten. Es ist eine Lobhuldigung höherer Macht, der Demut. Die gibt es übrigens auch gegenüber Vorbildern.

Bach diente vielen als Vorbild. Brahms bezeichnete sich als „Bachianer“. „Studiert Bach, dort findet ihr alles“, rief er aus. Wolfgang Amadeus Mozart schrieb „Bach ist der Vater, wir sind die Buben“. Beethoven bezeichnete ihn gar als „Urvater der Harmonie“.

Kirche Saanen, Gstaad Menuhin Festival
Foto: Die Kirche Saanen, einer der Veranstaltungsorte beim Gstaad Menuhin Festival © Raphael Faux

Deshalb sind wir der Meinung, dass die h-Moll Messe gut zum Programmschwerpunkt passt. Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass wir das Festival mit einer Messe eröffnen. Auch letztes Jahr haben wir mit einer Messe von Haydn eröffnet. Wir haben empfunden, dass es das erträgt. Überhaupt, mit diesen Spezialisten wie dieses Jahr. Dem Ensemble der Internationalen Bachakademie Stuttgart, die mit den neuesten Erkenntnissen der Interpretation vertraut sind.

Lassen Sie uns die Brücke schlagen zum Abschlusskonzert. Ebenfalls ein recht herausforderndes Programm. Yuja Wang wird Ravel spielen. Wie entsteht so eine Auswahl der Werke generell?

Die Wünsche der Künstler stehen natürlich im Vordergrund. Es war ein großes Ziel Yuja Wang für das Gstaad Menuhin Festival zu gewinnen. Sie ist eine spektakuläre Künstlerin. Ravels Konzert für die linke Hand, als auch die anderen Werke hat sie angeboten. Gemeinsam mit Tarmo Peltokoski, einem 22-jährigen Finnen, der als Dirigent in nur einem Jahr den Durchbruch geschafft hat.

Yuja Wang
Foto: Yuja Wang beim Gstaad Menuhin Festival © Raphael Faux

Wir können nicht nur Tschaikowsky und Dvořák spielen. Das geht nicht. Es muss dem Publikum schon zumutbar sein, dass nicht alles so leichte Kost ist. Der Bezug zum Thema „Demut“ war dann eher Zufall. Den Auftrag für das Klavierkonzert für die linke Hand gab der Pianist Paul Wittgenstein, der im Ersten Weltkrieg seine rechte Hand verloren hat.

Es gibt einige arrivierte Künstler, die es regelmäßig nach Gstaad zieht – András Schiff, Sol Gabetta und Patricia Kopatchinskaja, um einige zu nennen. Was ist das besondere an Gstaad?

Wir haben 60 Konzerte. Viele Musiker, die regelmäßig wieder kommen. Die ich aufgebaut habe in den letzten Jahren. Die gehen dann auch nicht zu den anderen Festivals in den Bergen. Ein Drittel der Künstler sind aber neue. Die noch nie bei uns waren. Mitsuko Uchida oder Pretty Yende zum Beispiel, die dieses Jahr zum ersten Mal beim Gstaad Menuhin Festival auftreten werden. Oder das Ensemble der Internationalen Bachakademie Stuttgart.

Die Jugendförderung ist ebenso ein großes Ziel. Bei Menuhin war es noch ganz selbstverständlich, den Nachwuchs zu fördern. Alles inoffiziell, ganz nebenbei. Ich habe die Gstaad Academy 2008 aktiviert. Habe pro Jahr eine neue Academy aufgebaut. Mittlerweile sind es fünf Akademien. Wir haben rund 200 aktive Studenten. Viele sehen es als große Chance, an einem Ort in den Alpen, wo Ruhe herrscht.

Wie finanziert sich das alles?  Wie sieht die Lage in der Schweiz, speziell natürlich in Gstaad, mit Sponsoren aus?

Wir sind weg von Wirtschaftssponsoren. Hin zu Mäzenen und Stiftungen von Privatpersonen. Die Lage hat sich nach Corona natürlich verändert.

Zum Glück leben in der Region viele wohlhabende Menschen. Das erleichtert die Situation natürlich. Die staatliche Förderung ist seit jeher konstant. Bewegt sich mit 10 – 15 % im verschwindend kleinen Bereich.

Sie sind bereits seit 2002 Artistic Director des Gstaad Menuhin Festival. Eine doch recht lange Zeit an der Spitze. Wie kam es dazu?

Seit Gidon Kremer, drei Jahre nach Menuhin, gab es zwei Übergangsjahre. 2002 habe ich dann bei null angefangen. Ich habe das als eine unglaubliche Chance gesehen, etwas neu zu gestalten. Auf einem weißen Blatt Papier sozusagen. Ich hab das Festival Schritt für Schritt wieder aufgebaut. Akademien, Jugend und Kinderprojekte.

Aber ich mache nicht nur das Gstaad Menuhin Festival. Ich bezeichne mich als Kulturunternehmer. Betreue das Hochrhein Musikfestival und andere Projekte.

Wäre da also nur das Gstaad Menuhin Festival, wäre ich nicht so lange geblieben. Ich brauche die Herausforderung, suche immer neue Ziele. Die folgenden drei Jahre jetzt, die sind wie aus einem Guss. Der Entschluss, die kommenden drei Festivalausgaben von 2023 bis 2025 unter das Motto „Wandel“ zu stellen, ist der richtige.

Wie genau macht sich das Thema „Demut“ und „Wandel“ bei der Programmgestaltung bemerkbar?

Die in Bern lebende Geigerin Patricia Kopatchinskaja begleitet uns auf dem Weg, musikalische Antworten auf den Zustand der Welt zu geben. Ihr eigener Konzertzyklus „Music for the planet“ wird jährlich drei Programme präsentieren.

Patricia Kopatchinskaja
Foto: Patricia Kopatchinskaja © Julia Wesely

In diesem Jahr sind das Beethovens „Pastorale“-Symphonie, wo sie das Werk in ein komplett neues Licht stellt. Mit Fotografie, Video und Texten. Gemeinsam mit der Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla, die auch eine Woche die Gstaad Conducting Academy leiten wird. Ein Abgesang, der den Niedergang der Natur aufzeigt.

Dann ein Projekt rund um Schuberts „Forellenqintett“, wo sie zusätzlich Kunstwerke von Inuit-Künstlern ausstellt. Denen wortwörtlich das Eis unter den Füßen wegschmilzt. Und dann noch Haydns „Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze“. Begleitet von Worten und Projektionen eines Videokünstlers, mit denen Patricia Kopatchinskaja auf den Klimawandel aufmerksam machen will.

Mir ist klar, dass sie so nicht die Welt retten wird, aber doch sensibilisieren.

Gstaad Menuhin Festival: 14. Juli – 2. September 2023

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