Foto: Bühnenbild von „Der fliegende Holländer“ in der Inszenierung von Christine Mielitz © Michael Pöhn
Wiener Staatsoper, 21. November 2021
Richard Wagner, Der fliegende Holländer
von Jürgen Pathy / Klassikpunk
Feste soll man feiern, wie sie fallen. Ein Sprichwort, das im Volksmund bekannt ist – also: ab in die Wiener Staatsoper. Immerhin sollte es der letzte Tag sein, bevor das prächtige Opernhaus, das an der Wiener Ringstraße prangt, mal wieder geschlossen wird. Lockdown Nummer vier, der tags darauf in Kraft treten sollte, stand Sonntagabend vor der Tür. Der Grund: die sogenannte „vierte Welle“. Bevor, die uns alle überrollen wird, hat sie den „Fliegenden Holländer“ am bedeutendsten Opernhaus der Welt noch einmal an Land gespült.
Allerdings nicht, ohne zuvor noch einige Größen des Geschäfts von der Bühne zu spülen. Anja Kampe, eine der gefragtesten und sicherlich besten Wagner-Sängerinnen, musste wegen eines positiven Coronabescheids vorzeitig die Segel streichen. Da sie bei den Proben voll ausgesungen haben soll, hat sie gleich einen Teil des Chors mit in die Tiefe gerissen.
Um allerdings nicht Gefahr zu laufen, zynisch zu werden, lassen wir das Thema Corona erstmal ruhen. Für Polemik sei die Kunst sowieso nicht der richtige Ort, beteuerte Direktor Bogdan Roščić, der kurz vor der Vorstellung die Bühne betrat. Allerdings nicht vor den Vorhang, sondern vor den eisernen Vorhang, der erst unmittelbar vor der Vorstellung die Bühne freigeben sollte. Lange verabschieden wollte er sich allerdings nicht, davon habe er mittlerweile schon genug. Immerhin soll dieser Lockdown für Geimpfte mit 13. Dezember wieder enden – das hat zumindest Bundeskanzler Schallenberg versprochen.
So bald nicht enden wird Ricarda Merbeths Karriere. Sie sprang für die erkrankte Kampe in die Bresche. Als Senta, die für viele als Einstieg ins schwere deutsche Fach gilt, hat sie sich deutlich besser über Wasser gehalten als gedacht. Auch wenn Merbeth, die bereits 2015 in derselben Inszenierung dabei gewesen war, im hohen Register nicht immer sattelfest wirkte, hauchte sie der Partie zärtliches als auch dramatisches Leben ein. Ganz anders als ihr mysteriöser Seefahrer, den sie von seinem Fluch befreit.
Bryn Terfel fehlen für den Holländer mittlerweile einfach die Pferdestärken im tiefen Register. Da hilft es auch wenig, dass Bertrand de Billy das hervorragend disponierte Staatopernorchester fast schon kammermusikalisch durch die Brandung schifft. Wovon der großgewachsene Waliser allerdings noch immer zehrt, ist sein wunderschönes Material und die deutliche Diktion. Ein Punkt, der bei einem anderen Bassbariton gerne dementiert wird.
Ungeachtet dessen wäre es sicherlich ein Erlebnis, Tomasz Konieczny auch mal an der Wiener Staatoper in dieser Partie zu erleben. Beim Polen, der seit geraumer Zeit von Mikulov über Paris seinen Siegeszug in dieser Partie fortführt, stimmt einfach vieles. Nicht nur sein unverwechselbares Timbre, das etwas Geheimnisvolles verbirgt, sondern auch sein enormes Stimmvolumen und die Kapazität, eine Rolle intelligent zu gestalten, machen ihn sicherlich zum Holländer unserer Zeit. Bald auch an der New Yorker Met, wie Konieczny durchblicken ließ.
In eine ähnliche Kerbe schlagen an diesem Abend nur wenige. Überaus beeindruckend und schmeichelhaft glänzt Jörg Schneider, der bislang hauptsächlich als lyrischer Tenor in Erscheinung getreten ist. An der Wiener Staatsoper, wo der gebürtige Oberösterreicher zum Ensemble zählt, kennt man ihn als Jaquino („Fidelio“), Aegisth („Elektra“) oder Alfred („Fledermaus“). Seine Interpretation des Erik verleiht dem Liebeswerber allerdings ungeahnten tenoralen Schmelz, dem bis auf Senta vermutlich nur die Wenigsten die kalte Schulter zeigen würden. Dass ihm dabei gelegentlich die Stimme bricht, schmälert seine beiden Debütvorstellungen in keiner Weise. In Zukunft wird man ihn auch als Mime im „Ring“ erleben dürfen.
Um einen Ticken noch besser gefallen hat allerdings ein anderer, der an der Wiener Staatsoper bereits wenige Tage zuvor in dieser Wiederaufnahme der Mielitz-Inszenierung eine grundsolide Vorstellung geboten hat: Bass Franz Josef Selig als Daland. Seine rauchige Stimme, die perfekt in eine Whisky-Spelunke passen würde, schnurrte wie die eines Löwen. Voller Stolz und Anmut, aber dennoch immer darauf bedacht, auf Samtpfoten übers Deck zu schreiten. Auf jeden Fall eine Stimme mit Wohlfühlfaktor. Genauso majestätisch und würdevoll mutete auch sein Auftreten an. Christine Mielitz verpasst ihm einen herrschaftlichen Mantel mit Pelz um den Hals.
Der Jackpot des Abends war allerdings die Inszenierung. In Zeiten, wo fast alles vom sogenannten „Regietheater“ überflutet wird, besticht Christine Mielitz durch ein klassisches Bühnenbild. Von der Galerie, die den besten Gesamteindruck einer Aufführung vermittelt, erspähte das Auge bereits hinter dem durchsichtigen Vorhang das Oberdeck eines Schiffs. Deutlich erkennbar, da durch die Schlitze des Schiffsboden das Licht des Unterdecks durchblitzt. Ein optischer Geniestreich, der das Dunkel der Bühne bricht. Auch rundherum hat Mielitz allerlei Raffinesse ins Bühnenbild einfließen lassen, die trotz der plakativen Darstellung durchaus anregen, die eigene Fantasie ins Spiel zu bringen.