Engagiert den jungen Herren, wo ihr nur könnt. Selten hört man Händels „Ombra mai fu“ mit so einer Reinheit anschwellen wie bei Valer Sabadus. Ein Kniefall vor dieser Stimme. Der rumänische Countertenor ist das Highlight der Gluck Festspiele bislang. Das Publikum in Bayreuth liegt ihm zu Füßen.
Händel & Gluck, Gluck Festspiele
Markgräfliches Opernhaus Bayreuth, 10. Mai 2024
von Jürgen Pathy
„Wahnsinn“, flüstert eine Stimme aus dem Hintergrund. Da gibt Valer Sabadus bereits die x-te Zugabe. Mit „Ombra mai fu“ hat Händel auch einen zeitlosen Hit geschrieben. Die vermutlich berühmteste Barockarie passt somit als Abgang perfekt ins Programm. Wie mühelos und frei der in Rumänien geborene Countertenor sie anschwellen lässt, versetzt in blankes Entzücken. Das Markgräfliche Opernhaus in Bayreuth brennt. Zum Glück nur die Emotionen. Die Holzkonstruktion des Opernhauses hält. 1748 eröffnet, ist es das älteste bespielte Barocktheater der Welt. Von der UNESCO 2012 zum Weltkulturerbe erhoben.
Highlight der Gluck Festspiele
Valer Sabadus sollte dasselbe Erbe zuteilwerden. Ein kompletter Arienabend, nur auf eine Stimme fokussiert. Ein Gewaltakt eigentlich. Gerade bei teils schwierig verzierten Barockarien, die einen Künstler auf das Zirkusparkett katapultieren können. Bei Sabadus wirkt alles, als sei es das Einfachste der Welt. Eine Stimme, frei und schwerelos wie das All. Zum Glück zielt das Programm nicht auf reine Effekthascherei ab, der Gluck zu Beginn verfallen war. „Er hat irgendwann selbst bemerkt, dass es der falsche Weg ist“, bestätigt Sabadus den Eindruck vom Vortag. Da hatte man Glucks Version von „La clemenza di Tito“ als Eröffnung der Gluck Festspiele halbszenisch gebracht.
Heute keine Spur davon. Die zweite Hälfte des Programms ist Werken von Gluck gewidmet, die auf Tiefgang setzen. Abstand vom Zirkus, hin zum Reformer, der Christoph Willibad Gluck gewesen ist. Würde man nicht wissen, dass Intendant Michael Hofstetter nur Gluck’sche Werke nach der Pause aufs Programm gesetzt hat, man sähe sich einer Zeitreise vom Barock bis zur Wiener Klassik ausgesetzt. Viel Elan im Furientanz der „Orpheus“. Fast schon wähnt man sich bei Vivaldi. Ganz Wiener Klassik bereits die Ansätze der Sinfonia aus der Oper „Antigono“. Mehr Raum fürs Orchester, fürs Blech und die Violine.
Die setzt sich mit süßer Fragilität in Szene, darf im Mittelpunkt stehen, ohne aber zu glänzen. Auf historischen Instrumenten verdreht das Barockorchester der Thüringen Philharmonie einem völlig den Kopf. Hofstetters Dirigat trägt dazu ebenso bei. Luftig, spritzig, wenn notwendig. Mit Eleganz und gediegenem Tempo, wenn eine gewisse Noblesse und Schmerz gefragt sind. Wie bei „Scherza, infida“, das – richtig – natürlich nicht Gluck geschrieben hat, sondern Händel. Der hatte die erste Hälfte des Abends getragen. Und die Stimme des jungen Countertenors, der tief in die Herzen des Bayreuther Publikums vorgedrungen ist.
Zwei Musiker auf einer Wellenlänge
„Scherza, infida“, die Arie des Ariodante aus der gleichnamigen Oper. Ein sängerischer Akt der tiefsten Verzweiflung. Ein Liebender, der außer sich vor Schmerz alleine zurückbleibt. Seine Geliebte hat ihn gerade betrogen. Händel zaubert daraus die tiefgehendste Arie des ganzen Barock. A-B-A. Klassische Da-capo-Arie, um dem Sänger einen Raum für Kontrast zu schaffen. All die Enttäuschung packt Sabadus in den ersten Teil. Herzschmerz pur. Die Wiederholung schwebt fast schon in verklärter Gelassenheit. Doch nicht alles ganz so ausweglos, wie man denkt. Kopf hoch, nach vorne schauen, könnte die Message sein.
Valer Sabadus ist dafür das ideale Sprachrohr. Michael Hofstetter sein verlängerter Arm. 2009 haben sich die künstlerischen Wege der beiden zum ersten Mal gekreuzt. Seitdem haben sie regelmäßig gemeinsam Musik erschaffen. Zwei Musiker, eine Einheit. Eine unheimliche Symbiose zwischen Bühne und Orchester, die bei den Gluck Festspielen nun definitiv einen bisherigen Höhepunkt erreicht hat.