Sperling im Augarten, 30. Juni 2020
Melange mit Meyer
von Jürgen Pathy / Klassikpunk
Am letzten Tag, an dem er noch offiziell Direktor der Wiener Staatsoper ist, hat er sich nochmals zwei Stunden Zeit genommen. Zeit, um sich von seinen Hörern bei Radio Klassik Stephansdom zu verabschieden. Bei der sogenannten „Melange mit Meyer“, einer Sendung die bereits zum 99. mal ausgestrahlt wird, aber erst zum vierten Mal vor Live-Publikum, stellt Dominique Meyer nicht nur seine liebsten Musikwerke vor, sondern schmückt sie mit einer Anekdote, einer persönlichen Erinnerung oder lässt seinen Gedanken einfach nur freien Lauf.
Dieses Mal an einem besonderen Ort: Vor rund 50 Gästen, die bei freiem Eintritt live dabei sind, im geschmackvoll, hellem Ambiente des Sperling im Augarten. Wolfgang Amadeus Mozart, Franz Schubert und Ludwig van Beethoven haben hier schon musiziert. Letzterer hat hier mit George Bridgetower die „Kreutzer“-Sonate uraufgeführt.
Nicht das einzige Werk, das hier das Licht der Welt erblickte. Franz Schuberts „Die Nachtigall“ D724, die in einer Aufnahme des Arnold Schönberg Chor sanft aus den Lautsprechern strömt, wurde hier ebenso uraufgeführt, wie das Mozart‘ sche Doppelkonzert für Klavier KV 365, zu dem Meyer eine besondere Beziehung pflegt. „Es ist vermutlich das erste Werk, das mich mit der klassischen Musik in Berührung gebracht hat“, erzählt der gebürtige Elsässer in seiner unverwechselbaren Art und Weise. Ein wenig unnahbar, aber charmant, eloquent und witzig. Sein Großvater, ein Bauer im Süd-Elsass, hat bei einem Schweizer Radiosender täglich die Nachrichten gehört. Der Jingle, der hat mit den ersten beiden Takten des langsamen Satzes begonnen.
Außerdem erzählt er weshalb er die Mozart‘ sche Sinfonie Nr. 35 (KV 338) so sehr liebt – vor allem in einer Aufnahme mit dem Concertgebouw Orchester unter Josef Krips : „Es ist Musik, die lächelt.“ Obwohl er den großen Dirigenten nie persönlich traf, dessen Frau hat Meyer sehr wohl des Öfteren angetroffen. In Lausanne. Dort seien „seine drei Witwen“, wie er Frau Furtwängler, Frau Schuricht und Frau Krips liebevoll nennt, öfters gemeinsam unterwegs gewesen. An das Lächeln von Frau Krips, daran erinnere er sich noch immer: „Das ist genauso, wie diese Musik – sie lächelt, man ist glücklich sie zu hören.“.
Meyer und die Wiener Philharmoniker: Eine Liebesbeziehung
Genauso glücklich scheint Meyer wegen einer Sache. Besser wegen einer „Band“. Dass, er die Wiener Philharmoniker schätzt und verehrt, ist kein großes Geheimnis. Aus ihren Reihen setzt sich das Staatsopernorchester zusammen, von dem er keine einzige Orchesterprobe versäumt habe, wie er etwas stolz betont. „Nicht um zu kontrollieren, sondern um zuzuhören!“. Doch die tiefe Zuneigung zu diesem Orchester geht noch viel weiter. „Seit dem Moment, als ich sie als junger Student 1977 im Théâtre des Champs-Élysées zum ersten Mal live gehört habe, habe ich mich in diesen weichen Klang verliebt. Der ist zwar nicht zu 100 Prozent präzis. Aber ich mag das.“
Die Liebe dürfte auf Gegenseitigkeit beruhen. Dafür gibt es zum Abschied nicht nur ein Ständchen, das von Andreas Großbauer und Tobias Lea, beides Musiker der Wiener Philharmoniker, live gespielt wird, sondern auch eine Auszeichnung, auf die er besonders stolz sei: Die Ehrenmitgliedschaft, die er von den Wiener Philharmonikern bereits einige Tage zuvor erhalten hat. Bei einem Event, das ihm genauso sehr am Herzen gelegen sein dürfte: beim Galakonzert des jungen Ensembles in der Wiener Staatsoper.
Mit List gegen den Rassismus
Immerhin wären es seine „Kinder“, die sich noch einmal gebührend von ihm verabschieden konnten. Darunter Sänger von Weltformat. Dass ein Jinxu Xiahou, den er genauso wie Olga Bezsmertna und Jongmin Park beim Gesangswettbewerb Neue Stimmen in Gütersloh entdeckt hatte, noch kein Weltstar sei, liegt nur daran, dass „die Leute so rassistisch sind“. Auch bei Jongmin Park habe er zu einer List greifen müssen. Erst, als er den Südkoreaner, der heute an allen bedeutenden Häusern singt, neben einem Kaliber wie Carlos Alvarez im „I Puritani“-Duett hat auftreten lassen, hätten die Menschen begriffen, wie gut der sei.
Aber auch der Rest des Ensembles kann sich sehen lassen. Um es zu dem zu machen, was es heute ist – laut klassik-begeistert Herausgeber Andreas Schmidt das beste Ensemble auf dieser Welt – hat Meyer keine Mühen und Strapazen gescheut. Bis zu 1000 Sänger habe er gehört – jede Saison wohlgemerkt. Davon hat er gerade Mal zwei pro Saison engagiert. Sein Ziel sei es gewesen, ein Mozart-Ensemble aufzubauen. Damit das Kernrepertoire der Wiener Staatsoper – Mozart, Wagner und Richard Strauss – auch ordentlich bedient werden konnte.
Was er noch gerne gemacht hätte, fragt ihn Ursula Magnes, die Musikchefin des Senders zum Abschluss. „Krieg und Frieden“, „Die Gezeichneten“ oder „Die Soldaten“ von Bernd Alois Zimmermann – und eine ganze Menge von Barockstücken. Ob die große Wiener Staatsoper der ideale Ort ist, um Barockopern aufzuführen, sei mal dahingestellt. Dafür musste Meyer schon genügend Kritik einstecken.
Seine Auslastungszahlen, die zuletzt beinahe bei 100 Prozent gelegen sind, sprechen auf jeden Fall für ihn. Obwohl es nicht immer so leicht gewesen sein dürfte, wie es nach außen hin wirkt. Vor allem das Wiener Kernrepertoire – eine Ariadne oder eine Salome – sei immer schwerer zu verkaufen gewesen, sagt er, als ein Verdi: „Wien ist eben eine italienische Stadt“.
Bevor er nun endgültig dorthin flitzt, nämlich nach Mailand an die Scala, kann er sich einen Seitenhieb nicht verwehren. In Wien, in der Stadt, wo er gelernt habe, traurig-glücklich zu sein, habe er eines nämlich nie verstanden: die Kritik! Man solle sein Glück wahrnehmen, sagt er, vor allem da wir in einem super Land leben würden, in einem Kulturland. Und setzt noch ein Plädoyer für sein Orchester hinten nach: „Seien sie nicht diese Menschen, die schlecht reden über die Wiener Philharmoniker – man muss sie schützen, nicht kritisieren. Es gibt einen Tierschutz, ich bin für den Künstlerschutz!“