Der Name Tomasz Konieczny dürfte in der Opernwelt inzwischen allen ein Begriff sein. Als Wagners Speerspitze Wotan, Alberich oder als Telramund wird er weltweit gefeiert. Jüngst auch als Holländer, der bald auch in New York an Land gehen wird.
Dass der robuste Pole auch leisere Töne anschlagen kann, beweist er mit „Apokalypse“ – einer Aufführung, mit der er die schlimme Situation seit Beginn der Pandemie verarbeiten möchte. Deutschland-Premiere ist am 7. November, 19:30 Uhr, im Münchner Künstlerhaus. Die österreichische Uraufführung folgt am 16. November, 20:00 Uhr, im Gläsernen Saal des Musikvereins Wien.
Interview: Jürgen Pathy
Lieber Tomasz, zurzeit sind Sie in einer Ihrer „neuen“ Errungenschaften zu sehen. Wie läuft es beim „Fliegenden Holländer“ an der Pariser Oper?
Sehr gut. Es gab heute wahnsinnig viel Applaus. Bereits nach dem Monolog, habe ich Szenenapplaus erhalten. Der Holländer, an dem ich schon lange arbeite, scheint die Partie zu sein, wo ich viel anbieten kann. Irgendwie stimmt alles. Zurzeit ist der Holländer meine Glanzpartie. Damit habe ich voll ins Schwarze getroffen.
Ist der Holländer eine leichte Partie?
Nein. Auf keinen Fall. Nicht nur für die Sänger, auch für große Dirigenten ist er schwierig zu dirigieren. Oberflächlich wirkt er leicht. Als ich aber einst Christian Thielemann gefragt habe, welche Oper für ihn die schwierigste zu dirigieren sei, hat er den Holländer genannt. Ich sehe das für Sänger ähnlich. Auch wenn einige meinen, er sei nicht so schwer, der Holländer könnte für manche sogar schwieriger sein als der Wotan.
Woran liegt das?
Sänger, die vom italienischen Fach kommen, denken, er sei organischer zu singen. Wagner hat im Fliegenden Holländer alle vier Hauptpartien aber noch nicht so gut gemeistert wie die späteren Partien. Beim Holländer sind es einige Punkte, die ihn nicht so einfach machen. Da wäre mal der Anfang. Nicht nur, dass man „kalt“ gleich den Monolog singen muss, der rund 12 Minuten dauert. Das alleine ist schon schlimm genug. Wahnsinnig schwierig ist auch das Rezitativ-Finale, wo es kaum Begleitung gibt.
Dazwischen liegt das wunderbare Duett mit Senta im 2. Akt, das sehr organisch ist. Beinahe so, wie das Duett in Rigoletto. Die ganze Partie ist aber eine Herausforderung. Der Holländer ist für Sänger zu Anfang auf jeden Fall die falsche Partie. Es ist richtig, dass ich die Partie früher nicht so häufig gesungen habe.
Wie die Kindertotenlieder von Mahler, die Sie bei „Apokalypse“ auch singen werden?
So ähnlich. An den Kindertotenliedern habe ich auch schon lange gearbeitet. Irgendwann war dann der richtige Moment da. Zum ersten Mal unter Jurek Dybał, wenn ich mich recht erinnere. Auch in Japan beim „Spring Festival“. Das war ein Arrangement für Streichorchester. Nun singen wir es aber wie Mahler es selbst als möglich vorgesehen hat – mit Klavier. Lech Napierala, mit dem ich seit sieben Jahren zusammenarbeite, wird den Part übernehmen. Mit ihm habe ich 2017 auch die Winterreise von Schubert und drei weitere CDs aufgenommen. Im November folgt dann auch die Apokalypse auf CD.
Was genau dürfen sich die Besucher von diesem Liederabend erwarten?
„Apokalypse“ ist kein reiner Liederabend. Ich nenne es eine Vorstellung. Denn Adam Dudek, ein polnischer Multimedia-Künstler, hat vier Filme dazu gemacht. Ich möchte nicht allzu viel verraten. Nur so viel, es werden schwarz-weiß Installationen sein. Denn die Zeit und die Musik sind sehr traurig. Neben den Kindertotenliedern spielen wir auch drei Neukompositionen. Aleksander Nowak, ein polnischer Komponist, hat drei Lieder komponiert. Alle basierend auf Gedichten von Kamil Baczyński.
Wer genau war Krzysztof Kamil Baczyński?
Baczyński war ein polnischer Dichter. Bereits in meiner Jugend habe ich davon geträumt, einmal Gedichte von ihm zu singen. Er hat die polnische Poesie revolutioniert wie Georg Büchner die deutsche Literatur. Anders als Büchner, der nur wenige Werke geschrieben hat, hat Baczyński hunderte Gedichte geschrieben. 1944 ist er auf tragische Weise als Widerstandskämpfer in Warschau ums Leben gekommen. Als er einen Apfel essen wollte, ist er aufgestanden und von einem ukrainischen Scharfschützen erschossen worden. Genau wie er es in „Heiligabend“, einem seiner Gedichte, prophezeit hat. Das Gedicht steht auch für mich im Mittelpunkt. Es ist wie der heilige Gral. Baczyński war für mich mehr als ein Poet. Alles, was er geschrieben hat, hat er mit der Vorahnung des Todes getan.
Der Kulturbetrieb befindet sich noch immer in einer schwierigen Situation. Haben Sie selbst eine Vorahnung, wie es weitergehen wird?
Zum Glück bin ich in einer Situation, in der mein Kalender voll ist. Ich habe bereits Termine für fünf Jahre im Voraus. In dieser Situation sind aber nicht alle. Es gibt viele Künstler, die aufgegeben haben – in Rente sind oder arbeitslos. Man hat uns behandelt, als ob wir Ferienarbeiter gewesen wären. Das ist Wahnsinn. Man darf nicht vergessen, ein ausgebildeter Künstler ist meist sehr fragil und sensibel. Es ist nicht jeder wie ich. Einige sagen, obwohl ich natürlich auch sensibel bin, ich sei wie ein Pitbull-Terrier, der sich durchbeißt. Die meisten sind anders gebaut. Das werden wir noch in der Zukunft ernten.
Mir fällt auf, alle Ihre Mitstreiter sind polnische Landsmänner. Zufall?
Das hat nichts zu bedeuten. Für die drei Neukompositionen, die ein Auftrag von mir waren, wollte ich zuerst einen deutschen Komponisten engagieren. Seinen Namen möchte ich nicht nennen. Aus verschiedenen Gründen habe ich mich dann für Aleksander Nowak entschieden. Er ist ein schüchterner Mensch, der bereits mehrere Opern geschrieben hat. Lange habe ich darauf gewartet, den richtigen Komponisten zu finden. Er kam wie gerufen. Die nächste Komposition steht bereits in den Startlöchern.
Was hat Sie dazu motiviert, „Apokalypse“ auf die Beine zu stellen?
Die Idee ist entstanden zu Beginn der Pandemie. Es war eine Art Ritual für mich. Ich habe versucht, etwas zu verarbeiten. Eines hat sich dann nach dem anderen ergeben. Die Kindertotenlieder sind seit jeher ein Anliegen von mir. Sie waren selbstverständlich. Die Videoinstallation kam dann genauso selbstverständlich hinzu. In Summe ist „Apokalypse“ eine Verarbeitung von all dem, was los war und ist während der Zeit der Pandemie.
Gibt es für Sie einen Unterschied, ob Sie in einem großen Haus singen wie der Wiener Staatsoper oder im intimeren Kreis?
Das Gefühl danach ist gleich. Im Gegensatz zur Oper muss ich bei einem Liederabend allerdings nichts beweisen. Auf der Opernbühne muss ich das jedes Mal. Alleine schon wegen der Lautstärke, ob ich durchs Orchester komme und so. Ansonsten empfinde ich keinen Unterschied. Ob ich vor zwanzig Menschen singe oder vor 2000, spielt keine Rolle. Bei Apokalypse geht es mir um was anderes als einen „Rockabend“. So etwas erlebe ich oft genug an der Wiener Staatsoper oder der Pariser Oper.
Für wen ist „Apokalypse“ geeignet?
Für alle, die mit uns gelitten haben. Die Kunst vermisst haben. Alle, die mit uns in Intimität tauchen wollen. Es ist zwar ein trauriges Programm, aber nicht wahnsinnig schwierig. Es dauert nicht lange. Während der rund fünfzig Minuten versuchen wir, etwas qualitativ Hochwertiges auf die Bühne zu bringen. Es gibt auch keine Pause. Abschließend möchte ich sagen: „Apokalypse“ ist eine Vorstellung, nach der die Menschen gereinigt herausgehen sollen.
Tomasz, vielen Dank und toi, toi, toi für „Apokalypse“!
Jürgen Pathy (Klassikpunk.de), 31. Oktober 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at