No risk, no fun. Das hat KS Tomasz Konieczny sich anscheinend auch gedacht. Mit dem Baltic Opera Festival wagt er den Versuch, Wagner wieder an der polnischen Ostsee heimisch zu machen. Bereits vor dem Krieg hatte der sich dort etabliert. Im Sommer 2020 hätte das Festival reaktiviert werden sollen. Corona kam dazwischen. Nun folgt der endgültige Startschuss.
von Jürgen Pathy
„Mutig, sehr mutig“, tönt es durch die Hallen. Nachdem Tomasz Konieczny sich einen Slot erkämpft hat, um sein Herzensprojekt an der Wiener Staatsoper kurz vor Publikum zu präsentieren. Direktor Bogdan Roščić zählt nämlich zum Ehrenkomitee. Einer von vielen, der sich bereit erklärt hat, das Baltic Opera Festival zu unterstützen. Dominique Meyer und Peter Gelb sind ebenfalls mit an Board. Die Schirmherrschaft haben der deutsche und der polnische Bundespräsident inne. Vom 14. bis 17. Juli 2023 folgt die erste Ausgabe. Nach einiger Verzögerung.
Bereits 2020 hatte Tomasz Konieczy den Plan. Die Hürden hätten größer aber nicht sein können. Die sinkende Zahl des Klassik-Publikums, Sponsorensuche – das alleine ist schon eine Herausforderung, dazu dann noch Corona. Deshalb hat er das Festival verschoben. Eine Entscheidung, die nachträglich betrachtet, sicherlich die einzig sinnvolle Option war. „Wir kämpfen seit drei Jahren“, betont der polnische Bassbariton, dem auf der Bühne keiner so schnell mehr etwas vormachen kann.
Von der Bühne auf den Chefsessel
Wiener Staatsoper, Bayreuther Festspiele, Pariser Oper. Überall hat Tomasz Konieczny sich einen Namen gemacht. Als Wagnersänger, der von Tag zu Tag nur noch besser wird. Im Augenblick probt er gerade an der New Yorker Met. Den Fliegenden Holländer, der auch beim Baltic Opera Festival in Mittelpunkt stehen wird. Warum er sich nun dem Risiko aussetzt, als künstlerischer Leiter zu scheitern, ist schnell erklärt. „Ich empfinde es als meine Mission. Als Wagnerianer verspüre ich einfach den Drang, die Musik von Richard Wagner auch dem polnischen Publikum etwas näherzubringen“.
Die Stolpersteine dürften Konieczny natürlich bewusst sein. Denn eins ist klar: Wer in diesen schwierigen Zeiten die Bereitschaft aufbringt, ein Klassikfestival zu starten, den muss man entweder für verrückt erklären oder enorm mutig. Der Vorverkauf scheint ordentlich gestartet. Ein ähnliches Schicksal, wie das anderer neu gegründeter Festivals, vorerst in weiter Ferne. 2020 hatte man in Österreich versucht, ein Wagnerfestival zu starten. Mit den Weinviertler Festspielen wollte Peter Svensson da ein Zeichen setzen. Neben Bayreuth ein zweites Wagner-Festival etablieren. Der Versuch ist kläglich gescheitert.
Dass man mit dem Mythos Bayreuth nicht konkurrieren kann, weiß Konieczny aber sicherlich auch. Deshalb setzt man auch auf andere Komponisten. Eröffnet wird das Baltic Opera Festival mit Szymanowski. Einem polnischen Komponisten, der mit „Die Männerlotterie oder der Bräutigam Nr. 69“ ein Werk geschrieben hat, das stark an den Wiener Operettenstil erinnert. Am 14. Juli 2023 ist die Premiere. In der kleineren Baltic Opera in Danzig, rund 40 Minuten Autofahrt von Sopot entfernt. Die Karten sind bereits gut verkauft.
Die Dimensionen der Opera Leśna sind aber ganz andere. Dort, wo man den „Fliegenden Holländer“ aufziehen wird. Eine Freiluftbühne in Sopot, mitten im Wald, von einem Kunststoff-Dach umhüllt und 2012 erst umfassend modernisiert. Für rund 5000 Zuschauer bietet sie Platz. Die gilt es erst mal zu füllen. Konieczny gibt sich optimistisch. „Ich bin mir sicher, dass wir bei dieser hochkarätigen Besetzung die Waldbühne voll kriegen“.
Die Rückkehr eines Opernverweigerers
Dazu hat er einen Altmeister hinter dem Ofen hervorgelockt. Eigentlich wollte Marek Janowski gar keine szenischen Opern mehr leiten. Seit über 20 Jahren bereits verwehrt er sich dem Diktat, dass Opernregisseure die Stücke im Grunde neu erfinden wollen. Darauf habe er keine Lust mehr. „Ich möchte diese Entwicklung einfach nicht unterstützen“, hat er vor kurzem erst in einem Interview betont. Der Operngraben, der sei für ihn ein abgeschlossenes Thema.
Für den Bayreuther Ring hatte Janowski aber ein Auge zugedrückt. Weil er die Chance einfach nutzen wollte, nachdem die Tür eigentlich schon fest verschlossen schien. In den 1980er-Jahren hatte er Wolfgang Wagner abgesagt. Danach nie wieder eine Anfrage erhalten. Als man ihm dann 2016 nochmals die Hand gereicht hat, konnte er nicht widerstehen. Für das Baltic Opera Festival macht er abermals eine Ausnahme.
Dass man deswegen darauf schließen könne, die Regie sei klassisch, dem widerspricht Tomasz Konieczny. „Die Regie wird weder klassisch noch modern. Sie bezieht sich auf das Objekt der Waldbühne“. Da sei man sich mit Boris Kudlička von Anfang an einig gewesen. Mit dem polnischen Bühnenbildner hat Konieczny bereits im Theater an der Wien gearbeitet. Für den „Fliegenden Holländer“ setzt man nun ebenso auf ihn.
Wenn Konieczny ruft, kommen einige
Auf der Bühne stehen auch keine Unbekannten. Ganz im Gegenteil: Mit Stefan Vinke und Ricarda Merbeth hat man zwei Wagner-Veteranen engagiert, die sich weltweit durchaus einen Ruf erarbeitet haben. Merbeth nicht immer ganz ohne Zweifel. Vinke, der 2019 erst gemeinsam mit Konieczny im Budapester „Siegfried“ auf der Bühne gestanden hat, hingegen schon.
Selbst muss Tomasz Konieczny sich für dieses Jahr entschuldigen. Der Ruf aus Bayreuth ist zu laut. „Verträgen halte Treu“, heißt es in Wagners „Ring“. Die hat Konieczny dort schon bei Katharina Wagner unterzeichnet. Da bleibt dann leider kaum noch Zeit. Auch, wenn das Baltic Opera Festival bereits eine Woche vor den Bayreuther Festspielen startet, die Aufgaben am Grünen Hügel sind enorm. Anreise, Abreise, Proben, Generalproben und Vorstellungen. Das alles unter einen Hut zu bringen, ist schon eine Mammutaufgabe. Dass er da überhaupt noch den Spagat schafft, ist nur einem Bekannten zu verdanken. Der schlägt die Luftbrücke. Fliegt ihn mit einem Privatjet am 16. Juli von Danzig nach Bayreuth ein.
Für Konieczny aber überhaupt kein Thema. Das Baltic Opera Festival hat er nie nur als „Koniecznys Träume“ gesehen. „Die Idee ist größer“. Kulturelle Brücken bauen, dort, wo die Politik manchmal scheitert. Das und nichts Geringeres haben sie sich auf die Fahnen geheftet. Er und Rafał Kokot, der als Direktor des Festivals agiert.
In einer Umgebung, die schon mal als „Bayreuth des Nordens“ bezeichnet wurde. Damals, vor dem Weltkrieg. Als nach der Machtübernahme der Nazis, Sopot zu einer der bedeutendsten Theaterstätten im Dritten Reich avancierte. Jahrzehnte später soll nun wieder Geschichte geschrieben werden. Alle baltischen Staaten möchte man in Zukunft miteinbeziehen. Nicht aber den Nachbarn Russland. Für Kriegstreiber ist hier nämlich kein Platz.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 10. Mai 2023, für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at