Daniel Barenboim
Foto: Daniel Barenboim © Silvia Lelli

Er kennt seinen Beethoven noch immer: Daniel Barenboim im Musikverein Wien

Musikverein Wien, Goldener Saal, 22. Mai 2021
Daniel Barenboim, Beethoven Klaviersonaten Nr. 5 – Nr. 8

von Jürgen Pathy

Er kann es noch immer. Das hat er ein weiteres Mal bewiesen. Daniel Barenboim, mittlerweile 78 Jahre alt und für viele der beste lebende Musiker, beherrscht das Klavier, das Instrument, mit dem er groß geworden ist, noch immer. Davon durften sich gestern rund 800 Zuschauer im Goldenen Saal des Musikvereins Wien überzeugen. Am Programm: Beethovens drei Klaviersonaten aus op. 10 und die berühmte Klaviersonate op. 13, besser bekannt auch als „Pathétique“.

Ausdruck statt Sturm

Natürlich schüttelt er nicht mehr alles ganz so locker aus dem Ärmel, wie noch vor zwanzig Jahren. Wen wunderts: Die Tage, an denen das Klavier im Mittelpunkt seines Schaffens gestanden hat, sind längst schon vorbei. „Wissen Sie“, setzt er nachdenklich an, nachdem man ihn fragt, wie er es bei all den Aufgaben noch schaffe, Klavier zu spielen: „Ich weiß es selbst nicht“. Manchmal spiele er monatelang kein Klavier.

Dennoch spürt man regelrecht: Dieser Mann, der neben seiner Tätigkeit als Dirigent und unermüdlicher Friedensvermittler für viele der größte Musiker unserer Zeit ist, hat es noch immer drauf. Besonders, wenn Beethoven auf dem Programm steht. Der Komponist, mit dem Barenboim bereits seit zarter Kindheit in enger Verbindung steht. Als Sechzehnjähriger hat er den gesamten Zyklus der 32 Klaviersonaten zum ersten Mal eingespielt. Vier weitere Gesamtaufnahmen sollten noch folgen. Die letzte stammt aus dem Jahr 2020. Dass all diese Erfahrung, um nicht zu sagen Routine, irgendwo Anklang finden muss, ist klar.

Wenn Barenboim ansetzt, um in die unergründlichen Tiefen Beethovens einzutauchen, steht nicht der Wilde im Mittelpunkt. Stand er bei Barenboim noch nie. Dem Ausdruck und der Intensität, der Phrasierung und der Rhythmik wird hier alles untergeordnet. Wen stört es da schon, ob der Fluss das ein oder andere Mal stockt, ja, selbst Mal ein Ausrutscher passiert: Im Ausdruck liegt die wahre Kraft der Musik verborgen. Und den beherrscht Barenboim, wie kaum ein anderer seiner Kollegen.

In den Adagios liegt die Kraft

Wenn der große kleine Mann, der mittlerweile etwas betagt die Bühne betritt, das Adagio der Sonate Nr. 5 zelebriert, verlieren sich Raum und Zeit in der unendlichen Galaxie aus Dur und Moll. Gerät alles andere in den Hintergrund. Ein Rascheln dort, das Knarren der alten Bänke da, und der Rest der Welt da draußen sowieso – alles nur Nebengeräusche, die hinter diesem Weltklassemusiker zu Nebendarstellern und Statisten verstummen. Das Einzige was zählt, ist der Augenblick. Die Verbindung der Welten. Des Unerklärlichen. Beethoven auf der einen Seite, das Publikum auf der anderen und irgendwo dazwischen Barenboim als Vermittler der Welten. Denn irgendwie schafft er es immer noch, die Magie, die von so einem Adagio zweifellos ausgehen kann, aus den Tasten des schwarzen Steinway-Flügels zu locken.

Daniel Barenboim am Klavier
Foto: Daniel Barenboim © Fernando Gens

 

Dass er dabei auch noch in der Lage ist, zu differenzieren, ist sein nächster Trumpf im Ärmel. Während er das Adagio der c-Moll Sonate Nr. 5, einer der schönsten Sätze, die Beethoven jemals geschrieben hat, mit viel Gewicht, Pathos und Breite anlegt, gestaltet er ein anderes, weit bekannteres Adagio ganz anders. Luftig und federleicht wirbelt der langsame Satz der berühmten „Pathetique“ durch die Luft. Beinahe wirkt es wie ein Statement, so, als wolle er einen Gegenpol bilden zum schweren Eröffnungssatz. Der stürmt und blitzt bei Barenboim zwar nicht mehr ganz so heftig, verfehlt seine Wirkung dennoch nicht.

Genauso wie das Largo der Klaviersonate Nr. 7. Dieser unheimliche Satz in d-Moll, den Barenboim mit einer Generalpause einleitet, wirkt beinahe wie eine Reminiszenz. So als blicke er auf ein langes, nicht immer einfaches Leben zurück. Ein Moment, der unglaublich beeindruckend wirkt, gleichzeitig aber auch nachdenklich stimmt, weil er die eigene Vergänglichkeit offenbart. Bleibt nur zu hoffen, dass Daniel Barenboim, dieser einzigartige Musiker, seine Gabe noch lange in den Dienst der Musik stellen kann…

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 23. Mai 2021, für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

 

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