Schüttaktion von Hermann Nitsch während der Premiere von Die Walküre in Bayreuth
Foto: Hermann Nitsch lies es während der Walküre ordentlich "krachen" c Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Schwipp schwapp: Malkurs trifft auf Walküre

Foto: Hermann Nitsch lies es während der Walküre ordentlich „krachen“ © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Premiere Bayreuther Festspiele: Eine konzertante „Walküre“, umschüttet mit Farbe von Aktionskünstler Hermann Nitsch

Von Barbara Angerer-Winterstetter

Einen Bayreuther „Ring“ gibt es Corona-bedingt erst 2022 wieder. Die Auseinandersetzung damit schon jetzt. In Form von Auftragswerken, die alle „Ring“-Teile spiegeln sollen. Im Zentrum: Die „Walküre“, die es als einziger Teil der Tetralogie ins Festspielhaus geschafft hat. Soweit, so lobenswert. Denn Neues wagen war noch nie falsch. Und zudem im Sinne des Schöpfers.

Der allerdings huldigte bekanntlich dem Gesamtkunstwerk aus Musik, Szene und Darstellung. Und wäre über die aktuell nur konzertante „Walküre“ wohl nicht so glücklich gewesen. Die Sängerschar sitzt dabei auf Stühlen an der Bühnenrampe (nicht die optimalste Position in der Akustik des Festspielhauses), gewandet in dunkle Kutten und versucht verzweifelt, das Spiel zu vermeiden. Damit das Ganze nicht eintönig wird, hat Katharina Wagner den über 80-jährigen Hermann Nitsch engagiert. Skandalös ist der schon lange nicht mehr – wenngleich die Erinnerung an Blut, Innereien und das „Orgien-Mysterien-Theater“ noch präsent ist.

Hermann Nitsch
Foto: Hermann Nitsch in Aktion © Roland Rudolph

In Bayreuth gestaltet Nitsch mitsamt seinem zehnköpfigen Team auf einem weißen Bühnenrahmen aus Leinwänden eine Art großformatigen Malkurs. Da fließen Farben von oben nach unten, andere werden dazwischen und darüber gesetzt. Unten auf den Boden wird aus unzähligen Eimern literweise Farbe geschüttet und mit dem Besen verteilt.

Kein Blut ist dabei, nichts Tierisches, nur eine Kreuzigung. Das kennt man von Nitsch. Geschockt muss man davon nicht sein (auch wenn kräftig gebuht wird). Dafür gibt’s alle Regenbogen-Farben, weil Nitsch sie aus Wagners Musik heraushört. Sie werden hellgrün, wenn der „Wonnemond“ im ersten Aufzug scheint, schreiend rot, wenn es um „Blutschande“ geht, dunkel angesichts den düsteren Weltuntergangs-Prophezeiungen Wotans.

Walküre in Bayreuth 2019 -von Hermann Nitsch
Foto: Die Walküren, Brünnhilde und Sieglinde © Enrico Nawrath / Bayreuther Festspiele

Das ist durchaus hübsch anzusehen. Wenngleich sich der Effekt schon nach einem Akt erschöpft und der Rest ermüdend wirkt. Das Schütten und Schwappen, das Plitschen und Platschen, das Kehren und Fegen stört zudem empfindlich die Musik. Gerade, weil die „Walküre“ eben ihre leisen Stellen hat. Das geht dann so: „Siegmund“ – platsch – „sieh auf mich“. Oder: „Der Welt weisestes Weib“ – schwapp – „gebar mir Brünnhilde dich“. Die Wälse-Rufe Siegmunds werden gar intensiv kehrend begleitet.

Wer möchte da Sänger sein, wenn hinter einem das Farbmeer lautstark schwappt? Das allerdings scheint nicht der Grund für die Absage von Günther Groissböck gewesen zu sein, der nach der Generalprobe seinen Wotan überraschend zurückgab. Für dieses wie für nächstes Jahr. Übrigens nach einem durchaus spannenden Rollenportrait mit profunder Tiefe, klarer Deklamation und schlanker Tongebung. Schade drum.

Klaus Florian Vogt in der Bayreuther Walküre 2021
Foto: Klaus Florian Vogt als Siegmund in der Bayreuther „Walküre“ © Enrico Nawrath

Tomasz Konieczny rettet die Premiere. Stimmgewaltig, kraftstrotzend, mehr auf klangliche Wucht denn auf Textdeklamation fokussiert. Ihm zur Seite steht mit Iréne Theorin eine Brünnhilde, die noch sicher die Spitzentöne ansteuert, aber mittlerweile ein unangenehmes Vibrato entwickelt hat. Was langjähriger Wagner-Gesang nicht selten so mit sich bringt. Hier wünscht man sich für 2022 eine frischere Besetzung. Wie die der Sieglinde, mit der Lise Davidsen zum Star des Abends wird. Samtig, tief im Timbre, volltönend verströmt sie in allen Lagen schier mühelos ein „hehrstes Wunder“.

Auch Christa Mayer ist als Fricka absolut erste Wahl: Sie singt ihre Linien betörend schön aus und bleibt dabei stets textverständlich. Dmitry Belosselskiy ist ein solider Hunding. Und Klaus Florian Vogt, für den der „Siegmund“ schon immer ein wenig zu tief lag, gewinnt in dieser Partie Substanz. Mit weiterhin leuchtenden Töne in der Höhe. In den berühmten „Winterstürmen“ des ersten Aufzugs möchte er leidenschaftlich vorandrängen – doch:

Dirigent Pietari Inkinen lässt ihn nicht. Ruhig, manchmal allzu ruhig atmet er die Musik. Das ist nicht leicht für die Sänger. Und auch nicht immer für die Zuhörer. Im Vorspiel scheint es, als arbeite der junge Finne die Musik einfach ab – spannungslos. In der „Todverkündung“ kommt sie beinahe zum Stillstand. Im „Walkürenritt“ und mehr noch im Feuerzauber aber entsteht plötzlich ein Sog, ein Klangbad, fest zusammengehalten durch intensiv zelebrierte Leitmotive. Der „Ring“ 2022 hat ja noch Zeit zu reifen.

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