Wiener Konzerthaus, Mozart-Saal, 11, November 2022
Quatuor Mosaïques
Erich Höbarth, Violine
Andrea Bischof, Violine
Anita Mitterer, Viola
Christophe Coin, Violoncello
von Jürgen Pathy
Die Veganer würden es Raw Food nennen – Rohkost. Genau das ist es, was die Musiker des Quatuor Mosaïques im Mozart-Saal präsentieren. 1985 von den Stimmführern des Concentus Musicus Wien gegründet, musiziert das Streichquartett auf historischen Instrumenten. Im Klartext heißt das: Darmsaiten bzw Kunststoffsaiten statt Stahlsaiten. Das hört man.
Immer wieder droht der fragile Geigenklang bei Erich Höbarth an der ersten Geige zu brechen. Nicht nur im zweiten Satz von Schuberts d-Moll Streichquartett Nr. 14, besser bekannt auch als „Der Tod und das Mädchen“. Der Grund: Schubert hat im ersten Teil des Themas die achttaktige Einleitung seines gleichnamigen Lieds aufgenommen. Auch bei Mozarts C-Dur Streichquartett, KV 465 – das wiederum bekannt unter dem Namen „Dissonanzenquartett“ – balanciert der zerbrechliche Darmsaitenklang öfters an der Kippe. Das stört aber nicht. Ganz im Gegenteil.
Zwischen Absturz und Höhenflug
Vor allem bei Schuberts Geniestreich, den er 1823 in einer für ihn enorm schwierigen Zeit fertiggestellt hatte, vermittelt das eine unheimliche Art von glaubwürdiger Authentizität. Gemeinsam mit den auf dem Boden herumliegenden Notenblättern, dem Äußeren der Musiker, das knapp an der Grenze des Biederen streift, aber noch immer als alternativ genug durchgehen könnte, wirkt das alles auf das Substanzielle heruntergebrochen – auf die Musik.
Dass die bei Mozarts „Dissonanzenquartett“ nicht immer die Tiefe und die Kraft des Werkes erlangt, die sie widerspiegeln könnte, mag an den Darmsaiten liegen. Könnte unter Umständen auch anderen äußeren Beeinflussungen geschuldet sein. Höchstwahrscheinlich allerdings eher daran, dass man die vier Sätze schon differenzierter und energischer gehört haben mag. Vor allem auf modernen Instrumenten, die einen stabileren Klang liefern.
Diese Annahme verhärtet sich nach der Pause. Da treffen die zuvor noch etwas fragilen Töne der ersten Violine zwar auch nicht immer ins Ziel. Aber bei Schuberts bittersüßem d-Moll Streichquartett vibriert die Energie viel intensiver. Da wackelt nicht nur das Bein von Andrea Bischof, die auf der zweiten Violine spielt. Da breitet sich plötzlich auch eine zuvor nicht geahnte Spielfreude in großen Schwingen über das wehmütige Werk. Ebenso wirkt auch das Spiel von Erich Höbarth an der ersten Violine nun intensiver, inniger und viel rauschhafter als noch zuvor.
Gut möglich, dass dieser Eindruck nur dem Glas Rotwein geschuldet sein könnte, das nach der Pause nun etwas zuschlägt. Viel wahrscheinlicher liegt es aber eher daran, dass bei Schubert die Zerbrechlichkeit des Natursaitenklangs nicht so derart offensichtlich in Erscheinung tritt, wie bei Mozart. Dessen Musik gilt schon seit jeher als schwierig, weil extrem durchsichtig und glasklar. Aber nicht nur das: Den Duktus wählt man bei Schubert auch viel passender.
War das Andante cantabile, der langsame Satz des Mozart‘ schen C-Dur Quartetts, zuvor noch unbefriedigend farblos, schöpft man bei Schuberts Andante con moto aus einer umfangreicheren Farbpalette und Intensität. Ebenso hinterlassen die Tempi und die Gewichtung der einzelnen Sätze nun deutlich mehr Eindruck. Die mag man bei Mozart zuvor vielleicht richtig gewählt haben, gefallen müssen sie deshalb aber noch lange nicht – und umgekehrt.
Eine Lehrstunde in puncto Schubert
Das bewahrheitet sich dann im Schlusssatz des Schubert’schen d-Moll Quartett, einem Presto im 6/8 Takt, eigentlich einem enorm rasanten Tempo. Obwohl das Quatuor Mosaïques da gefühlt ein wenig auf die Bremse steigt, entfaltet die Musik dennoch ihr ganzes unermessliches Potenzial. Vor allem deshalb, weil man wie bei den vorherigen Sätzen eher auf die innere Spannung setzt als auf hundert Prozent „korrekte“ Tempi. Das entschädigt dann für alles andere, überhaupt für den Beginn des Abends.
Da hatte man mit Juan Crisóstomo de Arriaga einen völlig unbekannten spanischen Komponisten aus der Versenkung gehoben. Der hatte 1824 im zarten Alter von nur 18 Jahren sein Streichquartett in A-Dur geschaffen – zwei Jahre vor seinem Tod. Ein eher wenig ruhmreicher Abklatsch von Mozarts Musikstil, den man sich durchaus hätte sparen können. Dass der Abend in Summe aber dennoch „net schlecht“ war, wie ein Gast lautstark im Stiegenhaus kommentiert, ist der Lehrstunde in morbider Schubert’scher Schwermut zu verdanken.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 13. November 2022, für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at