Wiener Staatsoper, 17. September 2022
Don Giovanni, Wolfgang Amadeus Mozart
von Jürgen Pathy
Völlig durchgeknallt. Bei Barrie Koskys Inszenierung von „Don Giovanni“, die bereits letzte Saison Premiere feierte, treiben es die beiden Hauptprotagonisten ziemlich wild. Don Giovanni, ein moderner Gigolo, punktet nicht nur mit sportlichem Sixpack, sondern auch mit allerlei akrobatischen Einlagen. Leporello, ein Punk mit blaugefärbten Haaren, treibt das Ganze überhaupt bis an die Spitze: tanzen, springen und jonglieren. Alles mit dabei, um an der Wiener Staatsoper Aufsehen zu erregen. Selbst ein kurzer Tauchgang bleibt Don Giovannis treuem Diener nicht erspart. Kurzum: Eine zirkusreife Produktion, die Regisseur Barrie Kosky da auf die Beine gestellt hat.
Pluspunkt in Wien: Hätte der Australier nicht zwei derart sportliche Sänger-Darsteller zur Hand gehabt, würde der Spaß wohl in die Hose gehen. Mit Kyle Ketelsen als Don Giovanni und Philippe Sly als Leporello fährt diese jugendlich-spritzige Regiearbeit so aber einen großen Erfolg ein. Dabei hatte die Produktion nicht nur letztes Jahr einiges an Kritik einstecken müssen.
Eine Regie im Dienste des Hausherren
„Ich mag die beiden nicht“, lässt ein Stammgast vorsichtig durchblicken. Meint damit in erster Linie natürlich Ketelsen und Sly, die aber sensationell agieren und immer tiefer in ihre Rollen hineinwachsen – bereits letzte Saison waren sie mit an Board. Latent geht der Schuss natürlich auch vor Koskys Bug. „Bei dieser Regie sind sie halt notwendig.“
Der Clou an dieser allerdings: Erstens stehen bei Barrie Kosky die Akteure im Mittelpunkt. Stichwort: Personenführung. Die kann sich sehen lassen. Da kann das Bühnenbild noch so karg gestaltet sein. Zweitens ist man die alte Martinoty-Inszenierung los, bei der selbst eingefleischte Don-Giovanni-Fans nicht immer den Durchblick wahren konnten. Und drittens, vielleicht einer der wichtigsten Punkte überhaupt:
Mit dieser furiosen Regiearbeit leistet Kosky auch ordentlich Schützenhilfe für Bogdan Roscic, dessen Auftrag, den Altersdurchschnitt des Publikums deutlich zu senken, bislang noch etwas lahm angelaufen war. Selten hat man an der Wiener Staatsoper derart reichlich junges Publikum gesehen, wie bei dieser ersten Aufführung der aktuellen Don-Giovanni-Serie – zumindest auf der Galerie und Teilen des Stehplatzes.
Großartiges Mozart-Ensemble
Dass die dann zum Schluss recht wenig Applaus spendieren, kann sicherlich nicht an der Qualität der Aufführung gelegen haben. Hanna-Elisabeth Müller, letzte Saison auch schon mit dabei, kassiert zwar das einzige Buh, lieferte als Donna Anna über weite Strecken aber mehr als nur eine solide Darbietung. Tara Erraught als Donna Elvira glich einer Furie vor dem Herren – hochdramatisch wenn notwendig, ausdrucksstark und überwiegend enorm klar in den Höhen. Dazu noch Patricia Nolz, die als Zerlina das dramatisch-angehauchte Frauentrio komplettierte und alles andere als ein Unschuldslamm verkörpert.
Und obendrauf noch Musikdirektor Philippe Jordan, der, ganz in Mozarts Diensten, das prominent besetzte Staatsopernorchester zu rasanten Höhenflügen animieren und den Abend dann in meisterlicher Manier vollenden konnte.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 19. September 2022, für klassik-begeistert.de und klassik-begeister.at